von Johanna von Halem
Das Verschwinden der Honigbiene leistet einen beispiellosen Beitrag zur ökologischen Verunsicherung der Bevölkerung Europas. Bei keinem anderen Wildtier erzeugt der Kampf ums Überleben einen vergleichbaren medialen Aufschrei, ist die Biene ja nicht nur für unsere Wirtschaft unverzichtbar, sondern auch maßgeblich für unser Überleben. Dieses kleine Tier hat die Entwicklung der Menschheit mitgeprägt, ihr die Intelligenz der Natur auf vielerlei Weisen vor Augen geführt. Umso schmerzlicher ist, daß wir dem Aussterben der Honigbiene, sowie 52% unserer Wildbienenarten, weitgehend hilflos gegenüberzustehen scheinen. Zuletzt öffnet ihr Verschwinden den Blick für die Komplexität unseres Ökosystems Erde. Hier hängt das Überleben einer Spezies an einem dynamischen Geflecht, bestehend aus beständigem Austausch zwischen/unter Lebewesen und deren Umwelt. Der Gesamtmechanismus Leben besteht also aus einer Vielfalt ineinander übergreifender Lebensgrundlagen. Wird eine davon geschädigt oder isoliert, sind die Konsequenzen weitreichend.
Es ist wohl die größte Herausforderung unserer Zeit, stattdessen dieses Gefüge ganzheitlich wahrzunehmen. Wir sehen unsere Kulturlandschaft zerschnitten im steten Konflikt zwischen Nützen und Schützen. Beinahe jeder Blühstreifen ist ein erzwungener Kompromiss zwischen den Interessen von Landwirten und Imkern. Währenddessen verschwinden ganze Habitate durch strukturelle Vereinheitlichung der Landschaft und letzte Nahrungsquellen durch Ausmerzung von Wildkräutern durch Dünger und Herbizide auf Grünflächen.
Dabei ist es doch die Vielfalt, die das Gesamtgefüge erst belastbar und dadurch nutzbar für den Menschen macht.
Schnell läßt sich beobachten, wie sich mit steigender Zahl der bewirtschafteten Tier- und Pflanzenarten das Risiko eines meist artenspezifischen Schädlingsbefalls verringert, oder wie durch Fruchtfolge anstelle von Monokulturen die Fruchtbarkeit des Bodens gestärkt wird. Vielfalt ist das Kapital jedes funktionsfähigen Ökosystems und dadurch Grundlage jeder menschlichen Zukunft.
Die Biene wiederum ist seit jeher Symbol für Zukunft, Fruchtbarkeit. Ein Drittel der weltweiten Nahrungsproduktion hängt von der Bestäubungleistung durch Wild-und Honigbienen ab. Um ihr Fortbestehen zu sichern, müßten ihre Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Doch laut der letzten UNEP Studie werden vorraussichtlich 20 000 Blütenpflanzen ohne entsprechende Schutzmaßnahmen in den kommenden Jahrzehnten verschwinden. Das bedeutet, es gibt noch immer zu wenige Produktionsstrategien, die Ökosystemdienstleistungen mit einbeziehen. Grund hierfür ist, daß agrar-ökologische Systeme noch immer ungenügend verstanden werden. Auf diesem Gebiet herrscht großer Mangel an ganzheitlichen Forschungsprojekten, denn noch werden Aspekte der Agrarforschung weitgehend von wirtschaftlichen Interessensgruppen geleitet. Von diesen Interessensgruppen per se kann keine Objektivität erbracht werden, denn Ziel dieser Studien ist nicht, das Kapital biologische Vielfalt und ökologische Gegebenheiten nutzbar zu machen, sondern eine breite Anwendungsmöglichkeit für eine Anzahl chemischer Produkte zu eröffnen. Dafür werden Nutzlandschaften und Bewirtschaftungsmethoden vereinheitlicht . Die Landschaft verarmt. Lebensgrundlagen verschwinden. Die chronologische Abfolge biologischer Prozesse zerbricht. So finden Bienen nach der Frühjahrsblüte der Fruchtgehölze kaum noch Nahrung um sie über den Sommer zu bringen und um genügend Vorrat für den Winter anzulegen. Im folgenden Jahr gibt es weniger der wertvollen Bestäuber für Obstbäume.
Da Funktionsweisen, Interdependenzen und dadurch Folgen menschlichen Handelns noch ungenügend verstanden sind, sollten öffentliche Gelder ganzheitliche Studien fördern. Der Mangel an zukunftsorientierter, nachhaltiger Agrarforschung muss ausgeglichen werden.
Das generierte Wissen sollte an Landwirtschafts-Forst -und Imkerschulen weitergegeben werden, und nicht zuletzt der Allgemeinbildung zugeführt werden. Erst dieses Wissen ist realistisch wertebildend. Die Folgen des Verlustes eines funktionsfähigen Ökosystems werden begreifbar, was wiederum ermöglicht den Wert eines Ökosystems zu definieren. Dieser Wert ist dann nicht mehr abstrakt, sondern bildet die gemeinsame Interessensbasis von Landwirten, Imkern und auch Verbrauchern.
Hier liegt ein Regierungsauftrag. Als Steuerungsorgan der Gesellschaft, muß die Regierung Subventions-, Landwirtschafts- und Bildungspolitik in positive Synergie bringen. Dazu müssen unabhängige Gremien wissenschaftlich relevante, objektive Forschungsergebnisse in einen unabhängigen Diskurs evaluieren und umsetzten, die lokalen Gegebenheiten kennen und produktiv auf sie eingehen. Unterschiedlichste Studien weltweit beweisen schon jetzt das Potential von agro-ökologischen Ansätzen für Klimaschutz, Grundwasserschutz, Erhaltung fruchtbarer Böden, Artenschutz und nicht zuletzt für die Qualitätssteigerung der Produkte. Ökologische Kreislaufwirtschaft schont schon jetzt Ressourcen. Nachhaltiger Fortschritt erfordert immer Mut zu Investitionen, denn was heute noch billig erscheint, kann morgen unbezahlbar sein.